Alltagsintegrierte Sprachbildung – Chancen und Probleme


Alltagsintegrierte Sprachbildung – ihre Chancen und Probleme im aktuellen Kitaleben

Die Sprache ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Bildung und Teilhabe, die in der frühesten Kindheit beginnt und sich durch ein ganzes Leben zieht. Welch wichtige Rolle eine gute Sprachbildung von Anfang an spielt, erleben die Erzieherinnen und Erzieher unserer Kindertagesstätten im Berliner Bezirk Wedding täglich. Ein Großteil der Kinder, die mit uns den Tag verbringen, lernt die deutsche Sprache in der Kita.

Dass Sprachbildung dabei nur als durchgängiges Prinzip, also ganzheitlich und alltagsorientiert, erfolgreich sein kann, gilt heute als Konsens. Auch dass es dafür auf gut qualifizierte und bewusst und professionell agierende Fachkräfte in den Kitas und Schulen ankommt, steht außer Frage.

Seit der frühkindliche Bildungsbereich in den letzten Jahren stark in den Fokus von Politik und Wissenschaft gerutscht ist, ist einiges in Bewegung geraten: Bildungsprogramme wurden erarbeitet, jedem Kind per Gesetz der Zugang in den Bildungsort Kita ermöglicht, Erzieherinnen und Leitungen sensibilisiert und geschult. Die Sprachbildung ist bundesweit zu einem Bildungsschwerpunkt geworden: Seit dem Jahr 2010 sind Sprachexperten im Rahmen der Bundesinitiative „Frühe Chancen“ täglich in Schwerpunktkitas alltagsintegriert tätig.

 

Ein Weg ist bereitet – wie steht es nun um die Umsetzung?

 

Wer an der Basis tätig ist, kennt die Ambivalenz dieser Frage, das „Einerseits und Andererseits“.

In den Schwerpunktkitas des Berliner Stadtbezirks Wedding ist sie uns ein ständiger Begleiter.

Dank der Bundesinitiative „Frühe Chancen“ können sich die teilnehmenden Einrichtungen über eine zusätzliche Fachkraft freuen, die dem Team als zusätzliche Stelle für die Projektlaufzeit täglich zur Seite steht. Darüber hinaus konnten eine großzügige Medienausstattung und schöne Materialien individuell nach den Bedürfnissen der Kitas angeschafft werden. Die Leitungen sind durch intensive Fortbildungen sensibilisiert, die Sprachbildung hat einen festen Platz im Konzept der Einrichtungen, viele Erzieherinnen und Erzieher haben heute ein solides Wissen und ein gutes Know-how. Auch der Rückhalt durch den Träger ist stark.

Viele der guten Vorhaben, Ideen und bewussten Vorsätze, die daraufhin entstanden sind, können im gelebten Alltag aber nur schwer umgesetzt und durchgehalten werden, weil es an den dafür nötigen Strukturen fehlt. Neben dem neu definierten Bildungsauftrag haben Erzieherinnen und Erzieher ein breites Arbeitsspektrum an unmittelbarer und mittelbarer pädagogischer Arbeit. Vor allem aber übernehmen sie täglich Verantwortung für 6 – 15 kleine Menschen und ihre gesunde Entwicklung.

In unseren Kiezen erwerben die Kinder häufig grundlegende Kompetenzen erst in der Kita. Erzieherinnen und Erzieher kompensieren hier, was Eltern zuhause versäumen bzw. nicht leisten können, um allen Kindern gleiche Bildungschancen zu ermöglichen.

Eine bessere Personalausstattung gibt es dafür nicht.

Anders als bei z.B. Lehrerinnen und Lehrern ist in der Arbeitszeit der Erzieherinnen und Erzieher so gut wie keine Zeit für so genannte mittelbare Tätigkeiten wie die Elternarbeit, Beobachtung, Dokumentation, Organisation, Gestaltung von Bildungsräumen und Angeboten, Vor- und  Nachbereitung eingeplant. Die hohe Kinderzahl auf einen Erzieher erfordert aber einen fast lückenlosen Einsatz am Kind. Der fast kontinuierlich hohe Krankenstand in unseren Einrichtungen zeugt von den Anstrengungen dieser Arbeit unter den beschriebenen Bedingungen und erschwert letztere noch.

 

In ihrer Untersuchung „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ von 2013 stellen Viernickel, Nentwig-Gesemann, Nicolai, Schwarz und Zenker fest: „Die mit der Einführung der Bildungsprogramme und der Professionalisierung des Feldes verbundenen neuen Standards und Anforderungen können aus der Perspektive der Fachkräfte unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht angemessen in Handlungspraxis umgesetzt werden. Folglich arbeiten die Teams im Spannungsfeld eines massiven Umsetzungsdilemmas.“

Und weiter: „Die von allen Fachkräfte-Teams erlebte Diskrepanz zwischen normativem Anspruch bzw. einem den aktuellen Anforderungen entsprechenden Idealbild professionellen pädagogischen Handelns einerseits und den Arbeitsbedingungen und der durch diese bestimmten Praxis im Alltag andererseits wird (mehr oder weniger stark) als Zumutung wahrgenommen, deren Tragweite den Verantwortlichen aus der Sicht der Fachkräfte nicht klar zu sein scheint. Diese Zumutung macht manche Teams zu Leidtragenden und zwingt sie zum Arbeiten an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Alle Teams sehen sich vor die Aufgabe gestellt und in die Verantwortung genommen, als Fachkräfte in der Praxis Lösungen dafür zu finden, wie sie den gestiegenen Anforderungen bei gleich bleibenden oder sich verschlechternden Rahmenbedingungen gerecht werden können.“  (S. 15)

 

So finden Bildungspläne und neue Ansätze und Ideen nur langsam den Weg in die Praxis. Vor allem aber verstreicht immer noch für viel zu viele Kinder in unseren Kitas eine hochsensible Entwicklungsspanne voller Potenzial weitgehend ungenutzt. Diese Kinder starten dann ihre Schullaufbahn unter deutlich erschwerten Bedingungen.

Wünschen wir uns daher als nächsten Schritt auf dem Weg zu einer gelebten guten frühkindlichen Bildung, dass Länder und Kommunen gemeinsam Bedingungen schaffen, unter denen pädagogische Fachkräfte den Anforderungen des Alltags, den Bedürfnissen der Kinder und den Leitlinien der Bildungsprogramme gerecht werden und dabei ihre Arbeit mit Liebe, Achtsamkeit, Zufriedenheit und Professionalität leisten können.

 

Susanne Sachse, Dezember 2014